Die Heimatkunde zuerst…Prezelle kennt ja so ziemlich jeder ambitionierte Skater, aber wer – wie ich – noch nicht da war, hat wohl keinen blassen Schimmer, wo es genau ist. Ich jedenfalls habe mich schon in der Anfahrtsentfernung grob verschätzt, als wir uns zur Teilnahme entschieden haben.
Gelegen zwischen Lüchow und Dannenberg in der nördlichen Lüneburger Heide, sehr unweit der ehemaligen Grenze und ebenso unweit des als Zwischenlager bekannten Gorleben bietet Prezelle dem Neuankömmling nicht viel. Wer nur 30 Minuten zu früh zum Streckenbesichtigungstermin erscheint hat ausreichend Zeit das Dörfchen 2 mal zu durchschreiten... Die Gegend ist mehr als ländlich, wird geprägt von Wiesen, Feldern und Wäldern, von Störchen und Reihern. Die Speisekarten werden beherrscht von Heidelamm und Wildsauerfleisch und die Straßen werden von Schildern wie „Achtung Biber kreuzen – 19h bis 7h“ (haben die Biber dort Uhren ?) begleitet.
Das Rennen ist sehr liebevoll organisiert, mit einem großen Festzelt und einem ebensolchen Kuchenbüffet. Abzusperren gibt es für die Strecke nicht allzu viel, sooo viele Straßen und Autos gibt es dort nicht. Auch die Vorjahresgeschichte der kreuzenden Kühe blieb uns erspart. Zur Siegerehrung waren die Medaillen leider nicht fertig, diese werden per Post nachgesendet. Bei der Ehrung der Damen Gesamt wurde die 4. irrtümlich aufs Treppchen gerufen und als 3. geehrt, die wahre 3. wurde vergessen. Die kleine Vertauschung wurde aber später mit echtem dörflichen Prezelle-Charme korrigiert und der Pokal wurde ordnungsgemäß weitergereicht… Dafür erhielten alle Teilnehmer eine (sicher vom Kindergarten ?) getöpferte „Durchhaltemedaille“. Liebenswert eben.
Start war Sonntag Morgen pünktlich um 9h, das Wetter war entgegen der „Versprechen“ vor der Abfahrt in Düsseldorf tadellos : trocken, nicht zu warm, lediglich sehr windig. Zuerst startete die männliche Hauptklasse zusammen mit den M30-Startern. 3 Minuten später ging die mit über 60 Startern größte Gruppe M40 ins Rennen. Um 9h06 dann M50+M60+M70. Schließlich durften auch die Damen (alle AKs zusammen).
Bei den Damen bildete sich schon frühzeitig eine 12-köpfige Spitzengruppe von denen 11 bis in die letzte Runde zusammenblieben. Trotz zahlreicher heftiger Attacken gelang es erst ca. 5 KM vor dem Ziel Irene Raab und Sabrina Rossow der Gruppe zu entfliehen. Irene gewann schließlich souverän in 2h38:54 mit 14 Sekunden vor Sabrina. Die restlichen 9 kamen im Zielsprint innerhalb 3 Sekunden zwischen 2h39:36 und 2h39:39 rein, wobei Silke Röhr als Gesamt 6. Deutsche Meisterin der AK30 wurde, während Silke Zimmermann als 10. Gesamt und 4. der AK denkbar knapp das Treppchen verpasst hat. Verdientermaßen glücklich und froh waren jedenfalls beide. Beide konnten dem Spitzenzug das komplette Rennen folgen und legten ihre 84,4 KM mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 31 km/h zurück. Als 38. gesamt und 11. der W30 erreichte Celine Höfer in 3h36:19 das Ziel.
Silke Z. beschreibt ihre Rennerinnerungen wie folgt :
„Ganz schön nervös war ich morgens. Gut, das ist man vor jedem Rennen, aber diesmal war es ganz besonders schlimm. Es war die deutsche Meisterschaft und ich wusste, da ist am Start was Rang und Namen hat. Aber die passenden Gesichter dazu hatte ich aufgrund meine jungen Lizenz-Rennerfahrung leider noch nicht. Wir rollten also 6km zum Start ein. Silke Röhr machte immer mal einen Zwischensprint, während ich immer nur bei mir dachte, roll nicht zu schnell ein, ich muss ja noch 84 weitere Kilometer durchstehen. Nachdem die Männer alle gestartet waren, kamen wir dran. Noch zwei Minuten, noch 10 Sek, 9, 8, 7,6 ... start... und los gings. Ich startete aus der 3. Reihe und musste ja irgendwie nach vorne... also orientierte ich mich an Silke... die fuhr nämlich erst mal am sich bildenden Zug vorbei und sortierte sich vorne ein. Ich also hinter ihr her und sie ließ mich vor sich in den Zug... uih, das Tempo fand ich ganz schön hoch, wir hatten doch schließlich noch das ganze Rennen vor uns. Naja, ich hatte mir vorgenommen, so lange wie irgend möglich im Spitzenzug mitzufahren, also los... irgendwann hatte ich dann zufrieden die erste Runde im Spitzenzug geschafft. Einmal war ich vorne im Wind, danach nicht wieder. Irgendwie reihten sich die Mädels alle vor mir wieder ein. Solange ich nicht an letzter Stelle bin, dachte ich mir, wäre das gar nicht schlecht, muss ich nicht vorne fahren und kann auch eigentlich keiner meckern. Hab mir nachher sagen lassen, dass das nicht wirklich schlau ist. Gut, die Erfahrung fehlt mir halt. Es folgten meines Erachten ja viel zu viele ;-) weitere Attacken, die ich glücklicherweise aber mitfahren konnte, wenngleich ich immer irgendwie die Sorge hatte, der nächsten nicht folgen zu können. Der Blick auf mein GPS machte mir auch nicht unbedingt Mut. Wir waren teilweise mit einem Schnitt von 33km/h unterwegs und hatten eine Marathonzeit von 1:17h. Wo soll das nur hinführen? Ich hangelte mich gedanklich von Runde zu Runde, wobei ich beim Denken die Vorderfrauen natürlich nicht aus den Augen verlieren durfte. Jedes Zucken konnte die nächste Attacke sein. Von der Landschaft habe ich dadurch auch nicht viel mitgekriegt. Ich habe mir eigentlich nur die Stellen gemerkt, an denen bevorzugt attackiert wurde wie zum Beispiel beim Kopfsteinpflaster und bei der 110Grad Kurve, die immer besonders langsam angefahren wurde, um dann danach volles Rohr los zu jagen. Schließlich war die 3. Runde nach 1:54h geschafft. Wow, war ich froh. Nur noch 22km, die schaffe ich zur Not auch alleine und wenn dann auch so, dass ich unter 3:00 ins Ziel komme. Aber ich war ja schließlich noch da. Bis dann schließlich der vierte Berg (ist wohl etwas übertrieben, aber gefühlt war es die Allrather Höhe!) kam. Es war so weit, ich konnte dem Spitzenzug nicht mehr folgen. Noch 15 km, okay, also ab jetzt geht es allein weiter. „Hallo? Aufgeben? Nein! Du kämpft jetzt gefälligst und lässt die nicht einfach fahren! Hau rein! “ Der Abstand wurde erst mal größer, berg rauf ging gar nicht, bergab eigentlich auch nicht... ? ich hatte Glück, die Mädels bummelten den Berg runter, so dass ich doch noch wieder ran kam. Da das Tempo in der letzten Runde auch etwas moderater war, konnte ich mich auch wieder ein wenig erholen. 5km vor dem Ziel setzten sich Irene und Sabrina ab. Beide Hauptklasse, ich weiß nicht, ob die Mädels der AK30 und der Rest nicht wirklich folgen wollten oder konnten, mir war es recht, da wäre ich wohl eh nicht mitgekommen. Dann das Schild „noch 1 KM!“ Jetzt passiert gleich was! Silke und Ulla Hingst vor mir, Sylvia Ordowski hinter mir. Aufgepasst, versuchen wollte ich es dann doch mal beim Zielsprint dran zu bleiben. 700m vorm Ziel ging Silke raus und spurtete los. Und alle hinter her. Silke hat gewonnen, Sylvia wurde schließlich 2. , Ulla 3. Und ich glückliche 4.!
Das Rennen hat mehr als meine Erwartungen und Ziele übertroffen und ich bin mehr als zufrieden. Und lehrreich war es auch!
Meinen ganz herzlichen Glückwunsch an Silke, die im Gegensatz zu mir viel vorne im Wind war und ein phantastisches Rennen gefahren ist.“
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Ich selbst hatte mir - wie zuletzt immer in meiner ersten Lizenz-Rennsaison - vorgenommen, von Anfang an zu versuchen, der AK40 Spitze zu folgen. Im WSC hat es mal geklappt, öfter mal auch nicht… Nun ja, es waren deutsche Meisterschaften und nicht WSC und so habe ich mal eine Taktik-Lehrstunde der Erfahrenen bekommen. Obwohl es wie erwartet rasant losging bildete sich aus dem über 60-köpfigen AK40 Feld ein etwa 40-köpfiger erster Zug. Ich hatte nicht erwartet, dass dieser Zug so groß sein würde. Gut fand ich lediglich, dass ich dabei war. Die ersten 25 KM legten wir trotz sehr böigem Wind mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35,5 km/h zurück (was einer Marathonzeit von 1h11 entspricht) und die komplette Zeit wurde lediglich dazu genutzt, soviele wie möglich nach hinten abzuschütteln. Im Wissen um die immer und immer wiederkehrenden Attacken versuchte jeder ständig, sich im vorderen Teil des Zuges zu positionieren. So entstand ein „Zug“ dessen Unruhe alle meine Erwartungen und Erfahrungen übertraf. Immer wenn ich mich wieder mühsam weiter vorne eingegliedert hatte, sah ich mich kurze Zeit später wieder am Ende des Feldes. Ca. bei KM 22 erreichten wir einen etwa 20-köpfigen, 3 Minuten vor uns gestarteten, AK30-Zug, aus dem alle versuchten, in unseren – schnelleren – Zug einzusteigen. Die Positionskämpfe im Feld wurden dadurch noch stärker, das Chaos immer größer. Bei KM 25 hatte der Zug sein Ziel erreicht und ich war einer derer, die entkräftet und vor allem völlig genervt aufgaben, so machte mir das Rennen keinen Spaß. Nun befand ich mich mutterseelenallein auf einer einsamen Landstraße – was auch nicht viel spaßiger war. Kilometer entfernt vom nächsten Dörfchen / Menschen dachte ich ans Aufgeben und an kreuzende Biber (aber die kreuzen ja bekanntlich nur nach 19h). Eine ungewohnte Stille begleitete mich, während ich langsam und etwas orientierungslos weiter rollerte, das „Zuschauerinteresse“ ist in Prezelle eher weniger ausgeprägt. Ich schaute mich immer wieder um und sah nur eine endlos lange leere Landstraße – kein einziger Skater in Sicht. Es dauerte fast eine halbe Runde bis mich die bei ca. KM12 überholten Dominik und Christian mit einem kleinen Zug wieder erreichten und ich entschloss mich, die restlichen knapp 50 KM gemeinsam mit den beiden zu verbringen. Wir ließen noch einen Zug bestehend aus der AK50 Spitze, die mittlerweile aus dem „Rest“ des AK40-Blocks verstärkt wurde, passieren und bildeten dann ein harmonisches, nettes etwa 10köpfiges Grüppchen, das fast bis zum Ziel zusammen blieb. Ein Highlight erlebten wir noch in Runde 3, als uns der Damen-Spitzenzug mit unseren beiden Silkes überholte und wir von hinten hautnah eine von Sabrina’s Attacken erleben konnten. Ich hatte ja auf den ersten 25KM unzählige Attacken selbst erlebt aber dies mal so „unbeteiligt“ aus ca. 50 Metern zu sehen war auch schon sehr beeindruckend. Christian haben wir leider auf den letzten Kilometern noch unbemerkt verloren. Den Zielsprint unseres Zuges um die goldene Zitrone von Platz 87 konnte ich immerhin für mich entscheiden.
Die Zeiten der SD-Männer :
Andreas Lichtenstein - 2h51h26
Dominik Mürmann - 2h55:47
Christian Siedler - 3h03:16
Jürgen Hassemer - 3h25:21
Dominik kam fast zeitgleich mit mir ins Ziel, war aber früher gestartet, freute sich aber zurecht über das Knacken der 3h-Stunden-Marke, Christian verfehlte diese nur sehr knapp, Jürgen unterbot noch die 3h30 und ich war froh, dass ich das Rennen noch zu Ende gefahren bin, auch noch die 3 Stunden unterbieten konnte und noch dazu über die wirklich lehrreichen ersten 25 Kilometern .
An unsere entfesselten Damen kommen wir aber - wie immer - nicht im Entferntesten ran.
Gewonnen hat bei den Männern Markus Pape in einer Zeit von 2h26:54 vor Patrick Täubrecht und Lukas Wannagat, die alle in der gleichen Sekunde ins Ziel kamen.
Besondern erwähnenswert und bei der Siegerehrung mit standing ovations bedacht wurde übrigens der Sieger der M70 Werner Görz, der das Ziel in neuem deutschen Rekord mit 2h48:30 erreichte. Da haben unser Fred und unser Manfred ja noch Ziele, und ich für die fernere Zukunft auch.
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